Was ist Vorratsdatenspeicherung - und warum wir sie bekämpfen müssen.

Der EUGH hat gerade die deutsche Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig erklärt. Warum dies eine gute Sache ist und warum der Kampf noch nicht vorbei ist.

2022-09-20
Vorratsdatenspeicherung ist das anlasslose Sammeln deiner Daten. Deshalb müssen wir die Vorratsdatenspeicherung bekämpfen.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat gerade ein wegweisendes Urteil zur Vorratsdatenspeicherung gefällt: Die Kommunikationsdaten aller Bürgerinnen und Bürger dürfen nicht anlasslos gespeichert werden, was die Vorratsdatenspeicherung in Europa illegal macht. Dem Urteil ging eine Klage der deutschen Telekommunikationsanbieter Deutsche Telekom und SpaceNet voraus. Jetzt müssen wir weiter gegen die Vorratsdatenspeicherung weltweit kämpfen!

Mit dem Urteil bestätigte der EuGH seine früheren Entscheidungen. Nach Ansicht des Gerichts "widerspricht die generelle und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten als Präventivmaßnahme zur Bekämpfung schwerer Straftaten und zur Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit" dem europäischen Recht.

Reaktion der deutschen Politik

Konstantin von Notz, stellvertretender Vorsitzender der Grünen, und Helge Limburg, rechtspolitischer Sprecher, erklärten: "Die Vorratsdatenspeicherung gehört auf die Müllhalde der Geschichte. Die Ampel hat sich in ihrem Koalitionsvertrag nach intensiven Debatten gemeinsam glasklar darauf verständigt, die Bevölkerung zukünftig nicht mehr anlasslos zu überwachen, sondern stattdessen Gefahren zielgerichtet abzuwehren und eine insgesamt grundrechtsorientierte und rechtsstaatlich ausgestaltete Sicherheitspolitik zu verfolgen. Hierzu stehen wir. Für eine – wie auch immer geartete – Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung sehen wir weder rechtlichen noch politischen Spielraum."

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) twitterte: "Ein guter Tag für die Bürgerrechte! Der EuGH hat in einem historischen Urteil bestätigt: Die anlasslose #Vorratsdatenspeicherung in Deutschland ist rechtswidrig. Wir werden die anlasslose Vorratsdatenspeicherung nun zügig und endgültig aus dem Gesetz streichen."

Warum die Vorratsdatenspeicherung gefährlich ist

Deutsche Regierungen haben bereits zweimal versucht, Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung zu verabschieden. Jedes Mal wurde das Gesetz erfolgreich vor Gericht bekämpft und für verfassungswidrig erklärt. Zur Zeit gibt es in Deutschland keine Vorratsdatenspeicherung. In einer freien Demokratie kann die Vorratsdatenspeicherung niemals eine verhältnismäßige Methode zur Verfolgung von Kriminellen sein, da sie die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht stellt. Während jeder versteht, wie die Vorratsdatenspeicherung zur Aufklärung von Verbrechen beitragen kann, ist es viel schwieriger zu erklären, warum die Vorratsdatenspeicherung für jeden Bürger gefährlich ist.

Lassen Sie mich dies mit dem, was wir in Deutschland das Corona-Paradoxon nennen, erklären: Weil die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus in Deutschland sehr erfolgreich waren, glauben viele Menschen, dass die Maßnahmen nicht mehr notwendig waren.

Das Gleiche gilt für die Vorratsdatenspeicherung: Da wir in einer freien und offenen Demokratie leben, glauben viele, dass uns kein Schaden zugefügt wird, selbst wenn die Regierung Zugang zu unserer gesamten Online-Kommunikation, zu jeder Website, die wir besuchen, zu unserem Standortprofil und mehr erhalten könnte.

Beide Annahmen sind grundlegend falsch. Während die erste ziemlich offensichtlich ist - die Eindämmung des Virus war deshalb so erfolgreich, weil die meisten Menschen in Deutschland Vorsichtsmaßnahmen getroffen haben - hat die zweite mehrere Facetten:

Erstens weiß man nie, ob das Land eine Demokratie bleibt, und man kann nie wissen, ob die heute gesammelten Daten einem morgen schaden könnten. Die Gefahren einer allzu wissenden Regierung wurden in der deutschen Geschichte mit der Gestapo im Zweiten Weltkrieg und der Stasi in der DDR zweimal demonstriert.

Zweitens kann die allgemeine Verdächtigung der gesamten Bevölkerung und die Vernachlässigung ihres Grundrechts auf Privatsphäre niemals als verhältnismäßige Maßnahme zur Verbrechensbekämpfung erklärt werden. Das ist auch die Position des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs.

Drittens ist eine allgemeine Überwachung wie die Vorratsdatenspeicherung nicht notwendig, um der Polizei zu helfen, die Zahl der aufgeklärten Straftaten zu erhöhen. Andere Maßnahmen, wie spezialisierte IT-Einsatzkommandos, mehr und besser ausgebildete Beamte und vieles mehr sind notwendig.

Was ist Vorratsdatenspeicherung?

Vorratsdatenspeicherung ist das anlasslose Sammeln von Daten aller Menschen.

Oder ausführlich: Die Vorratsdatenspeicherung ist ein kriminalpolitisches Instrument, das Anbieter elektronischer Kommunikationsdienste verpflichtet, bestimmte von ihnen erhobene Daten zum Zwecke der Verfolgung von Straftaten zur Verfügung zu stellen.

Dabei geht die Speicherdauer in der Regel weit über die Dauer hinaus, die für rein vertragliche Zwecke wie die Abrechnung von Gebühren zulässig ist. Die Speicherung erfolgt auch nicht aufgrund eines konkreten Verdachts einer Straftat, sondern wird auf alle Daten angewandt - für den Fall, dass irgendwann in der Zukunft eine Straftat auffällig wird.

Die Daten aller Nutzer des Anbieters werden also ohne jeden Grund "auf Vorrat" gespeichert.

Warum Behörden eine Vorratsdatenspeicherung wollen

Meistens argumentieren die Behörden, dass sie die Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung von Verbrechen wie Terrorismus und zum Schutz von Kindern benötigen, wie diese Karikatur illustriert:

Wie die Behörden argumentieren, um die Vorratsdatenspeicherung zu rechtfertigen.

Sie sagen, dass die Vorratsdatenspeicherung aufgrund der drastischen Zunahme der Online-Nutzung und Online-Kommunikation notwendig sei. Die unüberwachte Online-Kommunikation würde die Arbeit der Behörden zur Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität erheblich erschweren.

Geschichte der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland

Die deutschen Regierungen haben mehrfach versucht, ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung zu verabschieden. Doch jedes Mal scheiterte der Gesetzgeber daran, dass das Bundesverfassungsgericht eine allgemeine Vorratsdatenspeicherung ohne hinreichenden Grund für verfassungswidrig erklärte. Das Gericht argumentierte, das Recht auf Privatsphäre sei durch das Grundgesetz geschützt. So sei es nicht erlaubt, die Daten aller Bürgerinnen und Bürger zur persönlichen Kommunikation zu speichern.

In ähnlicher Weise hat der Europäische Gerichtshof die europäische Richtlinie 2006/24/EG zur Vorratsdatenspeicherung für ungültig erklärt. Damals argumentierte das Gericht, dass eine allgemeine Überwachung der Öffentlichkeit die Grundrechte verletzen würde.

Obwohl mehrfach gescheitert, denkt die deutsche Regierung nun wieder über die Verabschiedung eines Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung nach.

Die Bürgerrechtsorganisation Digitalcourage hat bereits begonnen, dagegen zu kämpfen: "In Demokratien und Rechtsstaaten gibt es keine legitimen Argumente dafür, die gesamte Bevölkerung grundlos zu überwachen", schreibt die Organisation. Ausnahmen für Geheimdienste, die nach der Logik des Plädoyers der Regierung nicht an Grundrechte gebunden sind, sind geradezu gefährlich.

Kritik an der Vorratsdatenspeicherung

Vorratsdatenspeicherung wird die Sicherheit nicht erhöhen

Der naheliegendste Grund, warum eine Vorratsdatenspeicherung nicht notwendig ist, ist eine Studie des Bundeskriminalamtes, eben jener Organisation in Deutschland, die sich die Vorratsdatenspeicherung am meisten wünscht. Demnach war die Aufklärungsquote mit Vorratsdatenspeicherung nur 0,006% höher als ohne Vorratsdatenspeicherung.

Dieser geringe Prozentsatz an zusätzlich aufgeklärten Fällen rechtfertigt nicht die Überwachung von mehr als 80 Millionen unschuldiger Bürger.

Darüber hinaus müssen wir auch bedenken, dass die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen zum Beispiel sinnlos wird, wenn Kriminelle ihre Spuren verwischen, indem sie ihre IP-Adressen verbergen oder das Darknet nutzen.

Schutz der Kinder

Die jüngste Debatte über ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wurde durch einige öffentlichkeitswirksame Fälle gegen Pädophile in Deutschland entfacht. Alle wollen, dass diese Kriminellen strafrechtlich verfolgt werden.

Die Annahme, dass die Vorratsdatenspeicherung das Vorhandensein von netzwerkartigen pädophilen Daten einschränken würde, ist jedoch schlicht naiv, da technische Umgehungsmöglichkeiten bestehen und die meisten Täter in weit entfernten Ländern operieren.

Demgegenüber würde der Verlust der digitalen Bürgerfreiheit durch die Vorratsdatenspeicherung - was das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof bereits für verfassungswidrig erklärt haben - die totale Überwachung der gesamten Online-Kommunikation ohne Ausnahme bedeuten, einschließlich Messaging-Dienste, Anrufe und Videoanrufe sowie die Erstellung von Bewegungsprofilen und Webseitenbesuchen.

Zusätzlich zu den Staatsanwälten müssen die gesammelten Daten bei den Anbietern von Kommunikationsdiensten gespeichert werden. Dadurch bleiben die Daten auch anfällig für missbräuchlichen Zugriff durch böswillige Angreifer oder korrupte Mitarbeiter.

Dies ist ein Risiko, zu dem keine Regierung ihre Bürger zwingen sollte.

Acht Mythen über die Vorratsdatenspeicherung

Thomas Stadler, Rechtsanwalt, spezialisiert auf IT-Gesetzgebung, hat acht Mythen über die Vorratsdatenspeicherung zusammengefasst. Der gesamte Blog-Beitrag ist ein Muss für jeden, der sich für oder gegen die Vorratsdatenspeicherung ausspricht. Hier ist der wichtigste Mythos über die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland:

Eine verfassungskonforme Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung wäre ohne weiteres möglich.

Während Beamte argumentieren, dass es einfach wäre, ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung zu verabschieden, das mit dem Grundgesetz in Einklang steht, verlangt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts viel, damit ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung akzeptabel ist:

Das Gesetz muss ehrgeizige und klare Regelungen in Bezug auf Datensicherheit, Datennutzung, Transparenz und Rechtsschutz enthalten. Das Europäische Verfassungsgericht (EuGH) geht sogar noch weiter und erklärt, warum die europäische Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung unverhältnismäßig ist. Da der EuGH die Anforderungen an eine grundrechtskonforme Regelung nicht erläutert, erscheint es unmöglich, ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung rechtssicher zu erlassen.

Während also die meisten europäischen Länder über Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung verfügen, ist Deutschland derzeit das einzige Land, das dem europäischen Recht entspricht, indem es kein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung hat.

Ein weiteres aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs zeigt die Bedeutung des Rechts auf Privatsphäre. Folglich muss damit gerechnet werden, dass ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung nur sehr geringe Chancen hat, vom Europäischen Gerichtshof akzeptiert zu werden.

Forderung nach Freiheitsgesetzen

Auch die Bürgerrechtsorganisation Digitalcourage fasst anschaulich zusammen, was an der Vorratsdatenspeicherung falsch ist:

"Seit Jahrzehnten nimmt der Überwachungsdruck gegen die gesetzestreue Bevölkerung zu. Für die Menschen macht es keinen Unterschied, ob es sich um staatliche oder private Überwachung oder um eine Mischung handelt. Der Überwachungsdruck ist bereits zu hoch. Freiheitsgesetze sind notwendig".

Mit der Datenspeicherung durch Unternehmen wie Google, Clearview AI und andere ist die Privatsphäre der Menschen ständig bedroht.

Jede Form der Datenerhebung - ob von privaten Unternehmen initiiert oder von der Regierung vorgeschrieben - gefährdet Menschen. Ihre Daten, die den Staatsanwälten leicht zugänglich sind, können sie zu Verdächtigen machen, wie dieser Artikel verdeutlicht: Die Verwendung der Standortbestimmung von Google kann Unschuldige ins Gefängnis bringen.

Dies kehrt die Logik der Strafverfolgung um: Staatsanwälte müssen nicht beweisen, dass Sie ein Verbrechen begangen haben; aber wenn Ihr Smartphone in der Nähe eines Tatorts nachverfolgt wurde, müssen Sie Ihre Unschuld beweisen.

Statt der Vorratsdatenspeicherung brauchen wir Freiheitsgesetze.

Vorratsdatenspeicherung in Europa rechtswidrig

Das Urteil des EuGH erklärt die anlasslose Vorratsdatenspeicherung in Europa - wieder einmal - für illegal.

Das ist zwar eine gute Nachricht für Fans der Privatsphäre, bedeutet aber nicht, dass der Kampf vorbei ist. Es gibt immer noch viele Länder, die Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung haben, auch in Europa.

Länder mit Gesetzen zur Vorratsdatenspeicherung

  • Australien
  • Dänemark
  • Frankreich
  • Italien
  • Norwegen
  • Russland
  • Serbien
  • Slowakei
  • Schweiz
  • Vereinigtes Königreich

Länder ohne Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung

  • Argentinien
  • Brasilien
  • Tschechische Republik*
  • Britische Jungferninseln
  • Deutschland*
  • Japan
  • Panama
  • Rumänien*
  • Schweden*
  • Taiwan
  • USA (aber viele Unternehmen geben freiwillig Daten an die Behörden weiter)

*Diese Länder haben zwar ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, aber es wurde für illegal erklärt und ist inaktiv.

Die Vorratsdatenspeicherung ist nach wie vor eine sehr beliebte Methode für Politiker, um scheinbar schnell Verbrechen zu bekämpfen. Deshalb müssen wir als Bürger wachsam bleiben und die Politiker zur Rechenschaft ziehen, wenn sie neue Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung erlassen wollen.

Unser Recht auf Privatsphäre ist ein grundlegendes Menschenrecht und muss verteidigt werden.