tl;dr: Sie können helfen, die Chatkontrolle zu bekämpfen und unser Recht auf Privatsphäre zu verteidigen. Lesen Sie am Ende dieses Beitrags, was Sie tun können!
Diese Woche haben 300 Wissenschaftler aus der ganzen Welt einen offenen Brief an das EU-Parlament geschickt, in dem sie die politischen Entscheidungsträger auffordern, die Chatkontrolle zu stoppen. Sie sagen, dass es zwar in der Verantwortung der Politiker liegt, Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen, dass es aber "unsere professionelle Empfehlung als Wissenschaftler ist, einen solchen Vorschlag nicht weiterzuverfolgen", da die von der EU vorgeschlagenen Scanning-Techniken sehr fehlerhaft sind und die Sicherheit aller Internetnutzer gefährden würden.
Die Wissenschaftler lassen den EU-Vorschlag wie Wunschdenken aussehen: "Angesichts des schrecklichen Charakters des sexuellen Missbrauchs von Kindern ist es verständlich und in der Tat verlockend zu hoffen, dass es einen technologischen Eingriff gibt, der ihn ausrotten kann. Wenn wir das Problem jedoch ganzheitlich betrachten, kommen wir nicht um die Schlussfolgerung herum, dass der vorliegende Vorschlag kein solcher Eingriff ist."
Es gibt keinen magischen Schlüssel, der es der Polizei ermöglicht, alle Chatnachrichten, E-Mails und mehr auf schädliche Inhalte zu überprüfen, ohne die Sicherheit und Privatsphäre aller zu gefährden. Dies ist technisch nicht möglich.
Die Wissenschaftler argumentieren, dass die Chatkontrolle eine zu große Bedrohung für alle darstellt und daher beendet werden muss:
"In erster Linie erkennen wir an, dass sexueller Missbrauch und Ausbeutung von Kindern ein sehr schweres Verbrechen ist, das den Überlebenden lebenslange Schäden zufügen kann. Es liegt in der Verantwortung der staatlichen Behörden, mit der Unterstützung von Unternehmen und Gemeinden wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um dieses Verbrechen zu verhindern und schnell zu reagieren, wenn es doch passiert."
"Die Europäische Kommission hat ein Gesetz vorgeschlagen, dessen erklärtes Ziel es ist, die Verbreitung von Material über sexuellen Kindesmissbrauch im Internet und das Grooming von Kindern im Internet zu stoppen. Zu diesem Zweck erlaubt das Gesetz den Behörden, die Anbieter von Apps oder anderen Online-Diensten zu verpflichten, die Nachrichten, Bilder, E-Mails, Sprachnachrichten und andere Aktivitäten ihrer Nutzer zu überprüfen. Im Falle von Ende-zu-Ende-verschlüsselten Apps wird behauptet, dass dieses Scannen auf den Geräten der Nutzer durchgeführt werden kann - das sogenannte 'Client-Side Scanning' (CSS)."
"Die Verabschiedung dieser Gesetzgebung untergräbt die durchdachte und einschneidende Arbeit, die europäische Forscher im Bereich Cybersicherheit und Datenschutz geleistet haben, einschließlich der Beiträge zur Entwicklung globaler Verschlüsselungsstandards. Eine solche Untergrabung wird das Umfeld für die Arbeit im Bereich der Sicherheit und des Datenschutzes in Europa schwächen und unsere Fähigkeit, eine sichere digitale Gesellschaft aufzubauen, beeinträchtigen."
"Die vorgeschlagene Verordnung würde auch einen globalen Präzedenzfall für die Filterung des Internets schaffen, die Kontrolle darüber, wer darauf zugreifen kann, und den Menschen einige der wenigen Instrumente wegnehmen, die ihnen zur Verfügung stehen, um ihr Recht auf ein Privatleben im digitalen Raum zu schützen. Dies wird eine abschreckende Wirkung auf die Gesellschaft haben und wahrscheinlich die Demokratien auf der ganzen Welt negativ beeinflussen.
"Wir warnen daher eindringlich davor, diese oder ähnliche Maßnahmen zu verfolgen, da ihr Erfolg angesichts der aktuellen und vorhersehbaren Technologie nicht möglich ist und ihr Schadenspotenzial erheblich ist."
Den vollständigen offenen Brief können Sie hier lesen.
Im April hat der Forschungsdienst des Europäischen Parlaments (EPRS) eine neue Studie über die Rechtmäßigkeit der vorgeschlagenen Verordnung zum sexuellen Kindesmissbrauch, auch Chat Control genannt, vorgelegt.
Die Pläne der EU-Kommission, Bilder von missbrauchten Kindern im Internet zu bekämpfen, sind nicht sehr effektiv und verletzen die Grundrechte der Internetnutzer, so die Analyse zur Chatkontrolle. Während die Zahl der gemeldeten Fälle wahrscheinlich deutlich ansteigen wird, dürfte die Treffergenauigkeit gleichzeitig deutlich abnehmen, was die Belastung der Ermittlungsbehörden erhöht.
Die Rechtsexperten des Wissenschaftlichen Dienstes des EU-Parlaments kommen zu dem Schluss:
"Bei der Abwägung der von den Maßnahmen des CSA-Vorschlags betroffenen Grundrechte kann festgestellt werden, dass der CSA-Vorschlag die Artikel 7 und 8 der Charta der Grundrechte in Bezug auf die Nutzer verletzen würde.
Sollte die Chatkontrolle Gesetz werden, ist dieser Verstoß gegen das Verbot der allgemeinen Vorratsdatenspeicherung und gegen das Verbot der allgemeinen Überwachungspflicht nicht zu rechtfertigen."
"Eine Anordnung zur Ermittlung des Inhalts von zwischenmenschlichen Daten auf dem Gerät oder dem Server beeinträchtigt den Kern des Rechts auf Privatsphäre nach Artikel 7 GRC in Form des Fernmeldegeheimnisses. Sie stellt eine Form des allgemeinen Zugriffs im Sinne von Schrems dar, wenn sie eine Analyse der gesamten über den Server laufenden Kommunikation beinhaltet."
Die Sachverständigen machten deutlich, dass "eine Zunahme der Zahl der gemeldeten Inhalte nicht unbedingt zu einer entsprechenden Zunahme der Ermittlungen und der Strafverfolgung führt, was einen besseren Schutz der Kinder zur Folge hätte. Solange die Kapazität der Strafverfolgungsbehörden auf das derzeitige Maß beschränkt ist, wird eine Zunahme der Meldungen eine wirksame Verfolgung von Missbrauchsdarstellungen erschweren".
Weiter heißt es in der Studie zur Chatkontrolle: "Es ist unbestritten, dass Kinder davor geschützt werden müssen, Opfer von Kindesmissbrauch und Missbrauchsdarstellungen im Internet zu werden... aber sie müssen auch in der Lage sein, den Schutz der Grundrechte als Grundlage für ihre Entwicklung und den Übergang ins Erwachsenenalter zu genießen."
Der Europaabgeordnete der Piratenpartei, Patrick Breyer, langjähriger Gegner des massenhaften Scannens von privater Kommunikation, kommentiert:
"Der Wissenschaftliche Dienst des EU-Parlaments bestätigt nun in glasklaren Worten, wovor ich und zahlreiche Menschenrechtsaktivisten, Strafverfolgungsbeamte, Rechtsexperten, Missbrauchsopfer und Kinderschutzorganisationen seit langem warnen: Das geplante generelle, wahllose Scannen unserer privaten Gespräche und Fotos zerstört das digitale Briefgeheimnis und verletzt unsere Grundrechte. Eine Flut von meist falschen Verdachtsmeldungen würde wirksame Ermittlungen erschweren, Kinder massenhaft kriminalisieren und die Täter und Produzenten solchen Materials nicht vor Gericht bringen. Nach diesem Gutachten ist die Durchsuchung privater Kommunikation nach potentiellem Material zur sexuellen Ausbeutung von Kindern, ob bekannt oder unbekannt, nur dann rechtlich möglich, wenn die Durchsuchungsbestimmungen gezielt und auf Personen beschränkt sind, die mutmaßlich an solchen kriminellen Aktivitäten beteiligt sind."
"Was wir anstelle von ungezielten Chat-Kontrollen und Identifizierungspflichten zur Altersverifizierung wirklich brauchen, ist die Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden, bekanntes Ausbeutungsmaterial aus dem Internet entfernen zu lassen, sowie europaweite Standards für wirksame Präventionsmaßnahmen, Opferunterstützung und -beratung und für effektive strafrechtliche Ermittlungen."
So sehen das auch viele andere Experten, wie bspw. Mullvad, Edri und weitere.
Die Chat-Kontrolle ist eines der schlimmsten EU-Vorhaben überhaupt und muss gestoppt werden. Mullvad VPN hat nun eine großartige Kampagne gestartet, um für die Demokratie zu kämpfen.
Die am 3. März gestartete Kampagne von Mullvad fordert die politischen Entscheidungsträger der EU auf, ihre Haltung gegenüber dem Vorschlag der EU-Kommission zur Aufdeckung und strafrechtlichen Verfolgung des Austauschs von Material über sexuellen Kindesmissbrauch (CSAM) im Internet zu überdenken. Der EU-Vorschlag sieht weitreichende Überwachungsmaßnahmen vor, wie z. B. das clientseitige Scannen, das Online-Dienste dazu zwingen würde, jede Chat-Nachricht und jede E-Mail, die jemand in der Europäischen Union verschickt, auf Material über sexuellen Kindesmissbrauch zu überprüfen.
Diese Gesetzgebung würde den EU-Bürgern de facto jegliche Privatsphäre im Internet nehmen, sie würde sogar die Verschlüsselung untergraben und damit die Sicherheit aller Internetnutzer schwächen.
Aus diesem Grund werden die Pläne der EU, nach CSAM zu scannen heftig kritisiert, unter anderen von Kryptographie und Datenschutz-Experten, Menschenrechtsorganisationen und Internet-Aktivisten in ganz Europa.
Zuletzt hat Deutschland seinen Widerstand gegen das clientseitige Scannen öffentlich gemacht. Mit dem Widerstand in Deutschland, Irland, Österreich und den Niederlanden gegen den EU-Vorschlag ist eine Sperrminorität nun immerhin in Reichweite.
Jetzt erhöht Mullvad den Druck mit seiner neuen Kampagne, die während der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft gestartet wurde, weöche am 1. Januar 2023 begann. Das Timing könnte also nicht besser sein.
Mullvad sagt auf seiner Kampagnenseite:
Jetzt ist die Zeit für Debatten und Aktionen
Eine demokratische Gesellschaft baut auf Diskussionen auf, bevor Gesetzesvorschläge Realität werden. Wir haben das Gespräch auf den Straßen Schwedens begonnen, während der EU-Ratspräsidentschaft des Landes.
Neben der digitalen Kampagne wurden in ganz Schweden große Plakate aufgestellt, um auf die laufende Gesetzesdebatte auf EU-Ebene aufmerksam zu machen.
The EU Commission wants to monitor all the citizens of the European union. The law proposal is called #chatcontrol – and now is the time to stop it. We took the debate to the streets of Sweden, during the country’s EU-presidency. Take a look at https://t.co/Dx9cPe1ksq pic.twitter.com/FvqAlQRiig
— Mullvad.net (@mullvadnet) March 3, 2023
Die Organisation für digitale Rechte EDRi hat kürzlich die Kampagne "Stop Scanning Me" gestartet, bei der EU-Bürger eine Petition gegen den Überwachungsplan der EU unterzeichnen können.
Unterzeichnen Sie jetzt die Stop Scanning Me-Kampagne!
Der EU-Vorschlag zur ChatKontrolle will Online-Dienste dazu zwingen, jede Nachricht und jede E-Mail auf mögliches (bekanntes und unbekanntes) Material zum Grooming von Kindern und sexuellen Missbrauch von Kindern zu überprüfen. Verdächtige Nachrichten, die von der KI erkannt werden, sollen den Strafverfolgungsbehörden gemeldet und untersucht werden.
Die maschinelle Suche nach potenziellem Kindesmissbrauch ist ein von künstlicher Intelligenz (KI) unterstütztes Verfahren. Die KI ist nicht fehlerfrei und wird eine große Anzahl harmloser, privater Bilder markieren, die dann von der Polizei untersucht werden. Experten gehen davon aus, dass 10-20 % der gemeldeten Bilder falsch positiv sind.
Dies ist ein massiver Eingriff in die Privatsphäre von Millionen unschuldiger Bürger.
Der Europäische Datenschutzbeauftragte Wiewiórowski nennt dies eine "Illusion der Legalität": Diese Art des wahllosen Scannens privater Kommunikation "wird nach der Charta der Grundrechte (und wahrscheinlich auch nach mehreren nationalen Verfassungsgesetzen) immer illegal sein."
Für viele sind die Risiken der Chatkontrolle zu vernachlässigen. Denn was haben wir als gesetzestreue Bürger zu befürchten?
Doch die Wahrheit ist das Gegenteil: Die Risiken eines Überwachungsinstruments wie der Chatkontrolle sind unbegrenzt.
Jan Penfrat hat es auf Mastodon perfekt ausgedrückt:
"Du hast nichts zu verbergen, bis die Regierung plötzlich dein Verhalten für illegal erklärt."
Der Text auf dem von ihm geposteten Bild stammt aus einer Nachricht, die diese Woche über den Business Insider verbreitet wurde: "Die Polizei verfolgt Abtreibungswillige anhand ihrer digitalen Daten - und Facebook und Google helfen ihnen dabei".
Sobald man die Verschlüsselung aufbricht, um den "Guten" Zugang zu gewähren, sind die von der Verschlüsselung versprochene Sicherheit und Privatsphäre dahin.
Es ist einfach nicht möglich, eine Verschlüsselungs-Backdoor zu implementieren, die nur von Strafverfolgungsbehörden genutzt werden kann.
Dies wird auch durch die besten Fehlschläge in der Geschichte der Backdoors veranschaulicht. Die Wahrheit ist: Geheimdienste haben schon früher versucht, die Verschlüsselung zu unterlaufen, aber immer wenn sie erfolgreich waren, waren es auch andere. Böswillige Eindringlinge sind sehr mächtig geworden.
Wir in Europa dürfen das Sicherheitsrückgrat, von dem unser digitales Leben abhängt, nicht schwächen: Die Verschlüsselung.
Jetzt müssen wir als Bürger Europas und Mitglieder der Zivilgesellschaft Druck auf die Gesetzgeber ausüben, damit sie sich gegen Gesetze aussprechen, die jede E-Mail und jede Chat-Nachricht, die wir verschicken, unter ständige Überwachung stellen.
Lasst uns gemeinsam die Chatkontrolle stoppen!
Teilen Sie die Mullvad-Kampagne, um den Druck auf die Politiker zu erhöhen.
Rufen Sie Ihren EU-Vertreter an oder schicken Sie ihm eine E-Mail, um sich Gehör zu verschaffen: "Stoppt das CSAM-Scanning. Ich will nicht, dass mein persönliches Gerät zu einer Überwachungsmaschine wird!"
Unterzeichnen Sie die Kampagne Stop Scanning Me von EDRi.