Deutschland: Vorratsdatenspeicherung ein für alle Mal abschaffen.

Nach Ansicht des deutschen Justizministers könnte die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten bald ein Ende haben.

2022-09-24 / First published: 2021-12-29
Die neue Bundesregierung will die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung so ändern, dass sie mit den europäischen und dem deutschen Grundrecht auf Privatsphäre entspricht. Der oberste Europäische Gerichtshof hat nun entschieden, dass eine solche Änderung schnellstmöglich notwendig ist. Die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten muss abgeschafft werden. Das ist eine sehr gute Nachricht und ein klares Signal an die ganze Welt: Ihr Recht auf Privatsphäre wird in Deutschland respektiert!

Update 2022-09-26

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat soeben ein erstaunliches Urteil zur Vorratsdatenspeicherung gefällt: Ihre Telefon- und Online-Kommunikationsdaten dürfen nicht ohne Anlass gespeichert werden, was die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland - und in Europa insgesamt - für illegal erklärt. Das Urteil geht auf eine Klage der deutschen Telekommunikationsanbieter Deutsche Telekom und SpaceNet zurück. Diese Entscheidung bestätigt - einmal mehr - den Weg der neuen Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP, die bereits in ihrem Koalitionsvertrag die Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung beschlossen haben.

Keine Vorratsdatenspeicherung in Deutschland

"Ich lehne die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ab und möchte sie ein für alle Mal aus dem Gesetz streichen. Sie verstößt gegen die Grundrechte. Wenn jeder damit rechnen muss, dass vieles über seine Kommunikation anlasslos gespeichert wird, dann fühlt sich niemand mehr frei", sagte der Bundesjustizminister in einem Interview mit der Funke Mediengruppe.

"Deshalb haben [deutsche] Gerichte die anlasslose Vorratsdatenspeicherung immer wieder gestoppt."

Gesetz zur Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung

Endlich will der neue Bundesjustizminister Marco Buschmann ein Überwachungsinstrument abschaffen, das in Deutschland seit Jahren umstritten ist.

Derzeit ist die mehrwöchige Vorratsdatenspeicherung auch im jüngst novellierten Telekommunikationsgesetz vorgesehen, aber aufgrund von Entscheidungen der Verwaltungsgerichte derzeit ausgesetzt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat wiederholt erklärt, dass die anlasslose Protokollierung von Telefon- und Internetdaten mit den in der EU garantierten Grundrechten auf Privatsphäre nicht vereinbar ist.

Datenspeicherung nur nach richterlicher Anordnung

Buschmann plädiert daher für das Quick-Freeze-Verfahren, bei dem die Provider auf Veranlassung der Strafverfolgungsbehörden Verbindungs- und Standortdaten faktisch einfrieren müssten.

Um die Bürgerrechte zu stärken, schlägt Buschmann vor, die Daten nur dann zu speichern, "wenn der Verdacht besteht, dass schwere Straftaten begangen wurden". Telekommunikationsanbieter sollen diese "bei Vorliegen eines konkreten Anlasses auf richterliche Anordnung hin" schnell sichern, "damit Polizei und Staatsanwaltschaft sie dann auswerten können" - aber nicht vorab und anlasslos, also nicht ohne strafrechtliche Ermittlungen.

Der neue Vorschlag würde also nur bestimmte Personen betreffen und sollte "nur bei Verdacht auf das Vorliegen schwerer Straftaten möglich sein".

Buschmann argumentierte, sein Vorschlag stehe im Einklang mit der Rechtsstaatlichkeit und sei somit "ein Gewinn für Freiheit und Sicherheit zugleich".

Eines seiner Hauptziele sei auch die Stärkung der Bürgerrechte. Dazu will er eine unabhängige Evaluierung der deutschen Überwachungsgesetze auf den Weg bringen. Gemeinsam mit seiner neuen Kollegin im Bundesinnenministerium, Nancy Faeser (SPD), wurde vereinbart, die zahlreichen bestehenden Sicherheitsgesetze noch in dieser Wahlperiode unabhängig und wissenschaftlich zu evaluieren.

Es sieht so aus, als ob wir zum ersten Mal seit langer Zeit eine Regierung haben, die tatsächlich plant, die Bürgerrechte zu stärken, einschließlich der Online-Sicherheit und der Privatsphäre. Für uns als datenschutzfreundlichen E-Mail-Dienst - und für Deutschland allgemein - ist das eine großartige Neuigkeit.

Geschichte der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland

Die jüngere Geschichte der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland lässt sich am besten mit einem Zickzack-Kurs beschreiben: Immer wieder hat die Politik Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung verabschiedet, immer wieder hat das Bundesverfassungsgericht diese Gesetze für ungültig erklärt mit der Begründung, dass solch umfassende Überwachungsmaßnahmen das Grundrecht auf Privatsphäre aller Bürgerinnen und Bürger verletzen würden.

Welche Daten werden derzeit gespeichert?

Im Kern geht es bei der Vorratsdatenspeicherung darum, Daten zu sammeln, die Aufschluss darüber geben, wer wann, von wo und in welcher Form mit wem in Kontakt getreten ist.

In Deutschland verpflichtet das im Oktober 2015 verabschiedete Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung Telekommunikationsanbieter wie die Telekom oder Telefónica - theoretisch - dazu, Standortdaten, IP-Adressen und Anruflisten (inklusive Telefonnummern, Dauer und Zeitpunkt des Anrufs) regelmäßig und für jede Person mehrere Wochen lang zu speichern und auf begründete Anfrage an Behörden wie Polizei und Staatsanwaltschaft, Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst etc. herauszugeben.

Das jüngste Gesetz wurde jedoch von deutschen Gerichten ausgesetzt, da es gegen EU-Recht verstößt. Die Bundesnetzagentur sieht daher davon ab, Anordnungen zu erlassen und Bußgeldverfahren wegen Nichteinhaltung der Vorratsspeicherungspflicht einzuleiten.

Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum deutschen Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung steht noch aus.

Derzeit speichert z.B. die Deutsche Telekom IP-Adressen, also die Adressen von Nutzern im Internet, nur eine Woche lang zu Abrechnungszwecken. Das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung würde eine Aufbewahrung der Daten für zehn Wochen erlauben. Doch diese Regelung liegt seit vier Jahren auf Eis.

Rechtsstreit war vorausgesagt worden

Der Rechtsstreit um das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung war von Datenschutzexperten bereits vor der Verabschiedung des Gesetzes durch die Politik im Jahr 2015 vorausgesagt worden.

Um diesen zu verhindern, hatte die Politik die E-Mail als sehr private Kommunikationsform von diesem Gesetz ausgenommen. Damit waren E-Mail-Anbieter wie Tutanota nie gezwungen, das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung einzuhalten.

Der Plan der Politiker durch den Ausschluss der Vorratsdatenspeicherung von E-Mails sicherzustellen, dass das Gesetz gerichtlich nicht in Frage gestellt werden sollte, ging jedoch nicht wie erwartet auf. Weder für die Bürger noch für die Gerichte war es nachvollziehbar, dass die Kommunikation per Telefon oder SMS als weniger privat angesehen werden sollte, so dass es dann zu dem immer noch andauernden Rechtsstreit gekommen ist.

Die europäische Situation

Die Diskussion auf europäischer Ebene ist dem, was in Deutschland gerade passiert, sehr ähnlich.

So ist der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner der Meinung, dass es an der Zeit ist, die derzeit geforderte Vorratsdatenspeicherung abzuschaffen:

"In den vergangenen Jahren sind die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten immer wieder krachend vor dem Europäischen Gerichtshof gescheitert und haben es nicht hinbekommen, eine rechtssichere Form der Vorratsdatenspeicherung zu beschließen. Deswegen muss es ein Umdenken geben in der Sicherheitspolitik, weg von der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung."

Was bringt die Zukunft?

Heute ist in Deutschland eine neue Regierung (SPD, Grüne, FDP) an der Macht, und es sieht so aus, als wolle die neue Regierung die Dinge in Ordnung bringen und diese rechtliche Kontroverse ein für alle Mal beenden.

Der Plan der jetzigen Regierung, das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung zu überarbeiten und es so zu aktualisieren, dass es die Bürgerrechte und das Recht der Bürger auf Privatsphäre respektiert, ist ein vielversprechender Ausblick für Deutschland.